Henri Bremond:
Die zweite Bekehrung nach Lallemant.
Vorbemerkung: Louis Lallemant, geboren 1578 in Chlons-Marne, gestorben am 5.4.1635 zu Bourges, Theologieprofessor, Novizenmeister, Leiter der Ordenshochschule, war einer der großen aszetisch-mystischen Lehrer der Gesellschaft Jesu. Er hat selbst keine Schriften hinterlassen. Seine „Geistliche Lehre“ ist auf Grund von Nachschriften seiner Vorträge durch Rigoleuc herausgegeben worden. Ihren Widerhall finden wir in den Werken seiner Schüler, besonders bei Surin. Man wird in der gesamten religiösen Literatur kaum Ausführungen finden, wo die Idee der Hingabe an Gott im Orden einen so tiefen Ausdruck gefunden hat wie in dieser Darstellung Lallemants.
Um die Bedeutung dessen, was folgt, richtig zu verstehen, muss man im Auge behalten, dass Lallemant zu Jesuiten spricht, nicht zu Novizen und Anfängern im geistlichen Leben, sondern zu Priestern, die gereift sind in fünfzehn Jahren Ordensleben. Diese „Patres vom dritten Probejahr“, wie sie in der Gesellschaft Jesu heißen, haben nun endlich ihre Studien abgeschlossen und wollen sich während eines ganzen Jahres innerlich sammeln, bevor sie ihre letzten Gelübde ablegen und sich für immer dem Apostolat weihen, in das sie übrigens schon eingeführt sind. Zu solchen Männern kann man frei sprechen, ohne jedes Wort abwägen zu müssen. Man braucht nicht zu befürchten, dass sie beunruhigt oder verängstigt, durch eine zu hohe Seelenführung entmutigt oder durch unkluge Reden auf die Wege der Mystik fehlgeleitet werden. Sie sind alt genug, sich zu wehren, und weniger der Gefahr ausgesetzt, sich etwas vorzumachen und einzubilden, als von dem entgegengesetzten Extrem bedroht, von einer zu großen Vorsicht, oder richtiger, von einer zu menschlichen Vorsicht, die zu viel überlegt und sich vor den Eingebungen des Heiligen Geistes verschließt.
„Man lässt sich nur“, schreibt Rigoleuc,“von der menschlichen Klugheit leiten, die sich hinter dem Wort vom Vernünftigbleiben, das man im Munde führt, verbirgt. Man bemisst alles nach dem Maßstab dieser angeblichen Vernünftigkeit. Nach diesem falschen Maßstab urteilt man sogar über das Geistliche, über das Wirken Gottes in der Seele und seine wunderbare Gnade, und man lässt nur das gelten, was einem passt. Auf solche Weise legt man sich ein System des geistlichen Lebens zurecht, mit derselben Freiheit, mit der Philosophen und Mathematiker ihre Weltsysteme und Himmelskreise aufstellen. Man behandelt die Gnaden Gottes bei sich selbst und bei den anderen nach den Grundsätzen der menschlichen Weisheit, und in einer merkwürdigen Verblendung, welche die gerechte Strafe für die stolzen Geister ist, glaubt man, nur der Vernunft und seiner Gescheitheit zu folgen, während man sich immer weiter vom Geiste Gottes entfernt“.
Und Lallemant sagt: “Die Mehrzahl der Ordensleute, selbst der guten und tugendhaften, befolgt in ihrem persönlichen Verhalten und in ihrer Seelenführung nur ihre menschliche Vernunft, und manche von ihnen verstehen das glänzend. Diese Leitregel ist gut, aber sie langt nicht hin für die christliche Vollkommenheit. Diese Menschen lassen sich gewöhnlich durch die Übereinstimmung leiten, in der sie sich eins fühlen mit jenen, mit denen sie zusammenleben, und da diese unvollkommen sind (obwohl sie kein unordentliches Leben führen), weil die Zahl der Vollkommenen sehr klein ist, so gelangen sie niemals zu den erhabenen Wegen des Geistes: Sie leben wie die Menge des Christenvolkes.“
Da hat nun zur rechten Zeit die Stunde der Gnade für sie geschlagen, die Stunde, wo es heißt, die Menge zu verlassen, sich entschieden, “den erhabenen Wegen“ zuzuwenden, mit einem Wort:
Die Stunde der zweiten Bekehrung ist da.
„Es gibt normalerweise bei den meisten Heiligen und bei denjenigen Ordensleuten, die vollkommen werden, zwei Bekehrungen:
in der ersten ergeben sie sich dem Dienste Gottes, durch die zweite geben sie sich ganz dem Streben nach Vollkommenheit hin.
Bei den Aposteln zeigte sich dies, als der Herr sie rief und als er ihnen dann den Heiligen Geist sandte. So war es bei der heiligen Theresia und bei ihrem Beichtvater, P. Alvarez, und bei manchen anderen.
Diese zweite Bekehrung wird nicht allen Ordensleuten zuteil, und zwar ist ihre Nachlässigkeit daran schuld. Die Zeit der Bekehrung ist nach unserer Meinung gewöhnlich das dritte Noviziatsjahr.“ X)
x) Was Lallemant hier sagt, betrifft natürlich nicht bloß die Ordensleute, sondern alle zur Vollkommenheit Berufenen, in erster Linie alle, die sich dem Dienste Gottes gewidmet haben. Der Zeitpunkt der zweiten Bekehrung scheint sehr spät angesetzt zu sein, dürfte sich hier aber daraus ergeben, dass wenn sie in den beiden ersten Noviziatsjahren nicht erfolgte, bei diesen Jesuiten erst 15-20 Jahre später, in ihrem dritten Probejahr zu erwarten war. Das Ziel der dreißigtägigen Exerzitien ist es wenigstens doch, nicht nur eine totale erste Bekehrung herbei zu führen, sondern auch zu der zweiten hinzuführen. Denn Liebe zum Kreuz, zu der die Exerzitien den Menschen bringen wollen, was ist das anderes als das vollständige Verzichten auf alles, was nicht vollkommen ist, auf alles das, bei dem der Mensch sich selbst und nicht den Gekreuzigten sucht? Sie ist also nur ein anderer Ausdruck für die zweite Bekehrung. (Anmerkung des Übersetzers)
Ist diese zweite Bekehrung nun, wenn man so sagen darf, nur eine Luxusausgabe der ersten? Lallemant denkt nicht daran:“ Das ewige Heil eines Ordensmannes ist unlösbar geknüpft an sein Streben nach Vollkommenheit.“
Ein hartes Wort, das man nicht zu sehr pressen sollte! Lallemant will ohne Zweifel damit sagen, dass es im Ordensleben immer unermesslich ernst ist, wenn man ausdrücklich nicht auf diesen oder jenen Vollkommenheitsgrad, sondern auf das Vollkommenwerden überhaupt verzichtet.
Lallemant teilt also die Ordensleute in zwei Klassen: Auf der einen Seite die kleine Gruppe der Bekehrten, der „Innerlichen“, der „Vollkommenen“, der „Beschaulichen“, auf die wir gleich zu sprechen kommen werden, und auf der anderen Seite die Nichtbekehrten, Mittelmäßigen.
Von letzteren gibt es zwei Arten: „Die einen verweigern nichts ihren Sinnen. Frieren sie, so wärmen sie sich. Haben sie Hunger, so essen sie. Sie sind stets entschlossen, solche Wünsche zu befriedigen, fast ohne praktische Erfahrung, was es heißt, sich abzutöten. Was ihren Dienst angeht, so leisten sie ihn gewohnheitsmäßig, ohne innerlichen Geist, ohne Geschmack daran zu finden und ohne Frucht.“
Verstehen wir ihn recht! Hinter einem armseligen Ofen einnicken, die Zeitung hastig verschlingen, solchen unschuldigen Schwachheiten misst Lallemant keine übermäßige Bedeutung bei. Was ihn bei diesen guten Leuten beunruhigt, ist das, was ihr Verhalten an den Tag bringt, ist die Stellung, die sie bezogen haben, in der sie sich, ohne es selbst recht zu wissen, verschanzt haben, ist ihre bürgerliche Haltung, ist ihr Herz, „das wie betäubt ist durch den Lärm der äußeren Dinge“ und nie bei sich selbst ist, ist „ihr tiefes Vergessen ihrer selbst“. Das ist es, was sie erniedrigt, schwach macht und schließlich damit bedroht, dass ihnen ihr Gewissen schwindet. “Diese da befinden sich in der Gefahr der schweren Sünde“.
Die zweite Art, diejenigen, welche nach Lallemant den Durchschnitt der Ordensleute darstellen würde, führt ein abgetötetes und edleres Leben, ein Leben, dass dem Anschein nach heiliger, in Wirklichkeit aber ebenso wenig innerlich, vielmehr weltlich ist. „ Denn auch im Kloster gibt es eine Welt im Kleinen, die sich zusammensetzt aus der Hochschätzung menschlicher Talente, der Aufgaben, Ämter und angesehenen Stellungen, der Liebe und dem Streben nach Glanz und Beifall. Aus dieser Welt macht der Teufel so etwas wie ein Marionettenspiel, um uns auszufüllen und zu täuschen. Er setzt das alles vor uns so in Szene, dass wir davor stehen bleiben und uns verführen lassen.“
Wir wollen an diesem Bekenntnis keinen Anstoß nehmen. Die Versuchung, die es uns enthüllt, ist eine der allerfeinsten. Man denke in der Tat an dieses Paradox, das es zu verwirklichen gilt: „Der Seeleneifer verlangt ein bestimmtes Temperament, das sich kaum je findet und sich ergibt aus der Synthese von Gegensätzen. Man muss z.B. in unserem Leben eine große Liebe zum Übernatürlichen vereinigen mit wissenschaftlichen Studien und anderen natürlichen Beschäftigungen. Es ist nun aber sehr leicht möglich, dass man sich stärker auf die eine Seite wirft als auf die andere. Man kann die Wissenschaft zu leidenschaftlich betreiben und das Gebet vernachlässigen oder umgekehrt.
“Man muss den Erfolg wollen und darf die Ehre nicht kosten, die er gewöhnlich mit sich bringt. Was für Gegensätzlichkeiten sind da nicht lösen! Darf man sich wundern, wenn nur eine wenig zahlreiche Elite ein solches Ideal erreicht? Und doch muss man dieses Ideal immer wieder wissenschaftlichen
Arbeitern vor die Seele stellen, denen entweder so hohe geistige Freuden oder so schmerzliche Enttäuschungen harren, Predigern, die morgen ihre Zuhörer entweder hinreißen oder aus der Kirche herauspredigen. Man muss ihnen sagen, dass das große Übel, das sie ständig belauert, der Stolz ist. „Wir machen an einem Tage mehr als hundert Akte des Stolzes“ Man muss es ihnen einhämmern, dass dieser Stolz nicht einmal vernünftig ist.
„Die Weisheit Gottes ist Torheit im Urteil der Menschen, und die menschliche Weisheit ist Torheit im Urteil Gottes. Wir haben zu schauen, welchem dieser beiden Urteile wir das unsrige angleichen wollen. Wenn wir uns aus Lob und Ehre Genuss bereiten, so sind wir Toren, und umso größer ist unsere Torheit, je mehr Geschmack wir daran finden, geachtet und geehrt zu werden.
Es ist eine Ungeheuerlichkeit, dass sich sogar im Kloster Menschen finden, die nur an dem Geschmack haben, was ihnen in den Augen der Welt Ansehen verleiht, die in zwanzig, dreißig Jahren Ordenslebens alles, was sie tun, nur tun, um dem Ziel näher zu kommen, was sie ersehnen. Was sie freut oder traurig macht, bezieht sich beinahe nur hierauf, oder sie empfinden wenigstens in dieser Beziehung tiefer als bei allen anderen. Das Übrige all, was Gott und die Vollkommenheit angeht, lässt sie kalt, sie finden keinen Geschmack daran. Dieser Zustand ist schrecklich und verdiente, mit blutigen Tränen beweint zu werden.“
Rigoleuc, ganz unter dem Einfluss seines Lehrers stehend, aber zugleich auch immer in seiner ganz persönlichen Weise, greift dieses erschütternde Bild auf und vollendet es:
„Stolz ist gewöhnlich der Grund, wenn Ordensleute unzufrieden sind. Er ist das größte Hindernis für die Vollkommenheit, dasjenige, welches sie hindert, der Führung des Heiligen Geistes zu folgen und sich dem innerlichen Leben hinzugeben. Es ist der Geist der Eitelkeit, der sie unter mannigfachen Vorwänden, denen er arglistig ein schönes Aussehen zu geben weiß, benebelt. Zuerst lässt man sich blenden durch den Glanz äußerer Talente, von Geist, Beredsamkeit, Wissen. Man hört das alles unaufhörlich an denen preisen, die solche Gaben besitzen. Der Geist wird erfüllt von dem Gedanken an diese Vorzüge, und der Gedanke an die Vollkommenheit, wie man sie einmal verstanden hatte, entschwindet. Man spricht nur noch von jenen, die sich durch Schöngeistigkeit oder durch ihre Bücher auszeichnen, oder von Predigern, die gerade Zulauf haben.“
Man sieht deutlich, dass dies alles dem Leben nachgezeichnet ist. Aber fahren wir fort:
„Man will auch nach etwas scheinen! Man sucht die Gelegenheiten dazu auf, und um sich einen Ruf zu verschaffen, gibt man sich übermäßig dem Studium hin, das so weit geht, das bisschen Frömmigkeit, was man hatte, zu ersticken. Man bleibt bis tief in die Nacht auf. Man vernachlässigt seine geistlichen Übungen, um Zeit zum Lesen und Schreiben zu gewinnen, und hierauf verwendet man alle Kräfte seines Geistes. Man will seinesgleichen übertreffen, und man betrachtet den Erfolg der andern mit eifersüchtigen Augen. Man sucht sie herabzusetzen und spricht nur in kaltem Tone von ihnen.
Die kleinste Zurücksetzung kann man nicht vertragen, und wenn man übergangen wird, ist man untröstlich. Man liebt glänzendes Auftreten, die große Welt, Besuche, Lob, Beifall. Das Verlangen geht nach den ersten Kanzeln, nach Aufgaben, die von sich reden machen. Man will in die Hauptstadt kommen, als den Mittelpunkt seines Ehrgeizes, und um dort hinzugelangen, um dort belassen zu werden und um da das Ziel seiner Wünsche zu erreichen, was tut man nicht alles? Man intrigiert, man klemmt sich hinter einflussreiche Leute, man schmeichelt. Man macht sich Freunde und Fürsprecher im Orden und draußen. Man macht sich an die Personen heran, von denen man sich Gunst und Unterstützung verspricht, an die Einflussreichen im Orden, an die Großen dieser Welt. Man wird ein Hofmann und ist Ordensmann nur noch dem Kleide nach. Vor Gott ist man völlig ein Weltmensch. Siehe, wohin die Eitelkeit Ordensleute nach und nach hinbringt, siehe, das ist es, was mir als das höchste Elend erscheint!“
Werden sie, um ihr Gewissen zu beruhigen und um beides, ihre Selbstliebe und das Evangelium, zufrieden zu stellen, den Jesuiten Pascals zu Hilfe ziehen, “unsere großartige Methode von der rechten Meinung?“
Nein, dieser Kompromiss würde nichts nützen, und Lallemant verdammt ihn ohne Erbarmen.
“ Um uns in unserer Verblendung zu gefallen, wickeln wir die Leidenschaft, die uns blind macht, in tausend schöne Vorwände ein. Wir bilden uns eine gute Meinung, und dann gehen wir über alle Anregungen der Gnade hinweg.“ Oder:“ Sie fassen einen Plan, wie er ihren Neigungen entspricht; sodann suchen sie Gründe aus dem Gebiet der Tugend, um ihre Wahl schönzufärben und um ihr Verhalten zu rechtfertigen.“
Surin, der hier nur die Worte seines Lehrers wiederholt, erklärt dazu: “Um sich rühmen zu können, dass sie alles nur für Gott tun, bieten sie es oberflächlich Gott an und sagen: Lieber Gott, ich opfere dir das auf….. Diese dürre Weise, auf Gott das zu beziehen, was tatsächlich gar nicht für ihn ist, hat mit der guten Meinung der wirklich Vollkommenen nichts zu tun.“ Wie soll das gut sein, wenn ich sage, dass all mein Tun für Gott ist, „wenn ich damit nur meine Selbstliebe nähre und mich an meinen eitlen unsinnlichen Gedanken oder an meinen sonstigen irdisch-menschlichen Begierden erfreue? Ich muss in die Tiefe meines Herzens mein niedriges Empfinden, das menschlich und verdorben ist, versenken.“
Sie sollen sich ebenso wenig mit dem Gedanken trösten, dass sie durch ihren Eifer etwas für die größere Ehre Gottes geschafft hätten. “Seien wir wohl davon überzeugt, dass wir in unserm Dienste nur Frucht bringen in dem Maße, wie wir mit Gott vereinigt und von aller Selbstsucht frei sind. Ein Prediger, dem die Menschen zuströmen, ein Missionar, der von sich reden macht, ein Beichtvater, der seinen Beichtstuhl von vielen Beichtkindern umdrängt sieht, ein Seelenführer, der von weit und breit aufgesucht wird, sie alle schmeicheln sich leicht, dass sie viele Frucht bringen, und wenn man nach dem Augenschein urteilen dürfte, würde man es glauben. Die Welt lobt sie. Der Beifall bestärkt sie in der guten Meinung die sie von ihren Erfolgen haben. Sind sie aber auch mit Gott verbunden durch das Gebet? Sind sie vollkommen losgeschält von sich selbst? Sie mögen Acht haben, dass sie sich nur nicht täuschen …
Man nimmt sich vor, zur Ehre Gottes und für das Heil der Seelen zu arbeiten. Vergisst man aber auch seine eigene Ehre und seine eigenen menschlichen Wünsche? Man ist beschäftigt mit Arbeiten des Seeleneifers und der Nächstenliebe. Ist aber der Beweggrund auch reiner Eifer und reine Nächstenliebe? Geschieht es nicht vielmehr deshalb, weil man seine Befriedigung dabei findet und man weder das Gebet noch das Studium liebt, weil man es in seinem Zimmer nicht aushält und die Sammlung einem unerträglich ist?“
Der ganze Aufwand ist umsonst, denn „nur die Heiligkeit des Lebens befähigt uns, an der Rettung der Seelen zu arbeiten.“
„ Es ist zum Staunen, Männer zu sehen, die zum apostolischen Leben berufen sind und die ihren Ehrgeiz und ihre Eitelkeit in den heiligen Dienst der Verkündigung hineintragen. Was für Frucht können sie bringen? Sie haben es erlangt, was sie in sechs oder sieben Jahren erstrebt haben. Sie haben es erreicht, auf Kosten einer Unzahl von Sünden und Unvollkommenheiten. Was für ein Leben! Was für eine Vereinigung mit Gott! Wie wird sich Gott solcher Werkzeuge bedienen können?“
„Höchstes Elend“ eines solcherweise geteilten Herzens! Fast völlige Unfruchtbarkeit eines rein natürlichen Eifers! Weil man sich nicht zu der zweiten Bekehrung hat entscheiden wollen, verfuscht man sich das Leben, und zu all dem Übel kommt diese Bitterkeit noch dazu: Man weiß sehr wohl, dass man es sich verfuscht.
„Wir bringen ganze Jahre und oft ein ganzes Leben damit zu, darum herumzufeilschen, ob wir uns Gott ganz hingeben sollen. Wir können uns nicht dazu entschließen, das Opfer ganz zu bringen. Wir machen viele Vorbehalte: Neigungen, Pläne, Wünsche, Hoffnungen, Ansprüche, die wir nicht aufgeben wollen. Darum gelangen wir nicht zu der völligen Leerheit des Geistes x)
x)Der Geist ist im Sinne von Lallemant leer, wenn der Wille von sich aus nicht geneigt ist, auf etwas anderes gerichtet zu sein als auf Gott. Das schließt in keiner Weise aus, dass Pflicht und Liebe ihn zwingen, sich allen möglichen Dingen zuzuwenden, ebenso wenig, dass viele Gedanken und Vorstellungen sich der Seele aufdrängen.
Das Entscheidende ist der innere Zug, welcher die Seele zu Gott hinzieht und sie dahin bringt, sich nicht an Außergöttlichem fest- und aufzuhalten, vor allem nicht an dem eigenen Ich, an dessen Wünschen, Neigungen, inneren Ergehungen, also an dem, was die meisten Menschenherzen ausfüllt, womit sie sich abgeben.(Anmerkung des Übersetzers)
Darum gelangen wir nicht zu der völligen Leerheit des Geistes, die uns befähigt, dass wir völlig von Gott in Besitz genommen werden können…
Wir kämpfen jahrelang gegen Gott und widerstreben den Anregungen Seiner Gnade, die uns innerlich antreibt, unsere Erbärmlichkeiten dadurch aufzugeben, dass wir die eitlen Befriedigungen unseres äußeren Menschen aufgeben, die uns so fesseln, und uns ohne Vorbehalt Ihm hingeben. Aber unter dem Druck unserer Selbstliebe, von unserer Unwissenheit geblendet, von falschen Befürchtungen zurückgehalten, wagen wir es nicht, den Schritt zu tun, und aus Furcht, es könnte uns dann schlecht ergehen, bleiben wir immer weiter in diesem Elend.“x)
x)Nur den Außenstehenen wird es als gezwungen erscheinen, wie hier der mittelmäßige Ordensmann gezeichnet ist. Im Grunde tut Lallemant nichts anderes, als einige Grundregeln des heiligen Ignatius auseinanderlegen. Seine Zuhörer wissen das sehr gut, und sie denken nicht daran, ihm in diesen Punkten zu opponieren. Ich könnte zwanzig Lehrer des geistlichen Lebens nennen, die genau so sprechen. Einen will ich anführen, P.Nepveu, ich glaube, dass er zu den mittelbaren Schülern Lallemants gehört. Er wendet sich an Personen, die nach der höchsten Vollkommenheit streben. “Woher kommt es“, fragt er sie, „ dass sie bei so vielen ausgezeichneten Übungen, die sie pflegen, bei ihren Abtötungen und manchmal sogar übertriebenen Strengheiten, bei ihrer Ausdauer im Beten, welches manchmal sogar sehr erhaben zu sein scheint, woher kommt es, dass sie trotzdem ihr ganzes Leben am Boden kriechen, in der Tugend kaum vorankommen, beschämend in bedeutenden Fehlern stecken, z.B. in einem geheimen Stolz, in einer sehr großen Unabgetötetheit, derart, dass sie nie in einer beachtlichen Weise die Tugenden des Evangeliums erlangen, wie es eine tiefe Demut, eine unerschütterliche Sanftmut, eine große Verachtung dieser Welt und wahre Loslösung von sich selbst sind?“
Den Schritt tun:
Dieses Bild drückt sehr gut Lallemants Auffassung von der zweiten Bekehrung aus. Er scheint tatsächlich anzunehmen, dass es möglich und leicht ist, sozusagen auf der Stelle ein völlig anderer zu werden.
Man müsste sich Gott hingeben, „ohne Vorbehalt, ohne Einschränkung“ und für immer, so, wie man sich entschließt, seine Habe an die Armen zu verteilen, was in ein paar Minuten geschehen kann.
„Man braucht also nur ein für alle Mal auf alle eigenen Wünsche, auf alles auskostende Genießen aller Genüsse, auf all seine Pläne, auf alles eigene Wollen zu verzichten, um von da an nur noch von dem Liebeswillen Gottes abhängig zu sein.
“ Welch eine merkwürdige Sache! Was mag das wohl für ein Verzicht sein, welcher die Seele, die in ihn eingewilligt hat, so und, ich wiederhole es, für immer umzuwandeln vermag? Es handelt sich nicht um jene „gute Meinung“, die Lallemant vorhin in ihrem unwirklichen und künstlichen Wesen, ihrer Armseligkeit und Unwahrhaftigkeit aufdeckte. Es handelt sich ebenso wenig um einen gewöhnlichen festen Vorsatz, einen Entschluss in der Art Epiktets, um eine jener Regeln, welche sich fromme Personen am Ende von Exerzitien für die Gestaltung ihres Lebens aufstellen. Derartige Entschlüsse, so nützlich und empfehlenswert sie auch sind, verändern nicht unmittelbar das Innere des Menschen, der sie gefasst hat. Wir müssen etwas anderes suchen. Befragen wir den Katechismus von Surin!
„Frage: Was nennst du eine Seele guten Willens? Antwort: Das sind diejenigen, welche von ganzem Herzen das Gute, und das, was die Vollkommenheit verlangt, zu tun suchen. In dieser Richtung haben manche Personen, welche sich für fromm halten manchmal nicht einmal den ersten Schritt getan.
Frage: Glaubst du, dass alle Ordensleute Seelen guten Willens genannt werden können? Antwort: Keineswegs. Denn sehr oft haben manche, die Ordensgelübde abgelegt haben und Doktoren und Prediger sind, diesen ersten Schritt nicht getan. Denn dafür genügt es nicht, mancherlei Dinge, die für gut gehalten werden, getan zu haben, sondern man muss in eine bestimmte innere Verfassung kommen und den Weg der Vollkommenheit betreten.
Frage: Welches ist der erste Schritt?
Antwort: Das ist der feste Willensentschluss alles, was das Streben nach Heiligkeit behindern könnte, aufzugeben und auf alle Befriedigungen des äußeren Menschen zu verzichten, um mit seinem Herzen bei Gott zu bleiben und um in seinem Lichte alles zu tun, was man als Wunsch Gottes erkennt, ohne ihm irgendetwas zu verweigern. Es gibt aber nur wenig Menschen, die sich in diese innere Verfassung begeben und die diesen Weg betreten. Das ist der Grund, weshalb sie nicht zu diesem seligen Stande gelangen. Und obwohl sie viele gute Dinge tun, so bleiben sie doch zurück und können nicht vollkommen genannt werden.“
Diese Stellen geben uns den Schlüssel zu dem Geheimnis.“ Den Schritt tun“, das ist einen neuen „Weg“ einschlagen. Das ist, “in eine bestimmte innere Verfassung“ gelangen, die sich von der gewöhnlichen Verfassung, die man noch nicht verlassen hatte, unterscheidet. Das ist, mit einem Wort, die Grenze zur Welt der Mystik überschreiten. Nicht so, als ob das heldenhafte Leben, zu dem man eingeladen wird, sich zunächst als etwas „Mystisches“ darböte.
Es handelt sich gar nicht darum, seine Lebensweise zu ändern, höher hinauf zu steigen. Sondern man ist einfach dazu gedrängt, „ein für alle Mal zu verzichten“ auf alles Sich-Selbst-Suchen, auf alles eigene Wollen, dazu, „das Opfer ganz zu bringen“, „seinen Geist völlig leer zu halten“. In diesem Sich-Selbst-Verlieren sieht man zunächst nur etwas unermesslich Entsetzliches. Man schaudert zurück vor der furchtbaren Leere, die dann kommen würde, und man ahnt nicht die Fülle, die darauf folgen muss, wenn man annimmt, wenn man sich aufgibt, wenn man „den Schritt tut“. Und man fühlt auch, dass dieses Drama, das sich in der innersten Brust abspielt, von einem letzten Ernst ist, dass man, wenn man den Mut hat, nicht zurückzuweichen, beim Wort genommen wird, dass man sich wirklich verlieren wird. Das ist eine ganz andere Art als die, welche den gewöhnlichen Entschlüssen des Christenlebens vorausgeht. Diese Entschlüsse schmeicheln immer noch mehr oder minder der Selbstliebe, sie können die Einbildung entzücken. Bei all dem gibt es keinen Regiewechsel, man bleibt der „Kapitän seiner Seele“, wie ein englischer Dichter sich ausdrückt.
Hier dagegen muss man, wird man sein ganzes Wesen ausliefern, sein Tiefstes, sein Teuerstes. Bei der ersten Bekehrung, da tritt man nur die Nutznießung ab, bei der zweiten Bekehrung verzichtet man auf das Eigentum an seiner Seele, bei der ersten auf die Blüten und Früchte, bei der zweiten auf den ganzen Baum. Aber was soll das! Wenn man das mystische Leben vom Menschen ausnimmt, so ist es wirklich nichts anderes. Der Mensch hat alles gegeben. Gott aber wird das Übrige tun. Der Mensch lebt nicht mehr. Aber Gott lebt in ihm.
Das scheint mir die zweite Bekehrung zu sein, von der Lallemant sprechen wollte. Als echter Jesuit, der er ist, stellt er diese göttliche Geschichte zunächst beinahe nur unter ihrem moralischen und psychologischen Gesichtspunkt dar. Unter diesem Gesichtspunkt braucht man keine Einbildungen zu fürchten. Man verleitet keine Seele dazu, sich etwas vorzumachen, wenn man ihr sagt, sie müsse sich selbst verleugnen.
(entnommen aus dem „Grou-Handbüchlein für innerliche Seelen“,
übersetzt und herausgegeben von Wilhelm Schamoni,
Verleger Ferdinand Schöningh, Paderborn
Reprint durch den Verlag Josef Kral.
Dieses Buch ist nicht mehr im Handel.
Meine geistliche Begleiterin hatte mir das Buch 2002 geliehen. Da ich es so wundervoll fand, fing ich an, es abzuschreiben -in Teamarbeit mit meiner Nichte und meinem Neffen-. Danke noch einmal für die Hilfe (fast fehlerfrei gearbeitet bei diesem schwierigen Text! Allerdings ein Kommentar meines 10-jährigen Neffen: „Moni, du bist verrückt!“
Der Vater der beiden hatte sich dann erbarmt und das anscheinend letzte Buch in Deutschland aus einem Antiquariat über das Internet für mich gekauft.
Falls ich dennoch gegen irgendwelche Rechte verstoßen haben sollte, bitte ich um gnädige Mitteilung.)